Franz Mandl

Beiträge zur Felsbildstation "Schneidjoch"

 

1)

Ist die "Reiter"- Darstellung auch wirklich ein Reiter mit Pferd?

Felsbildort Schneidjoch, Gemeinde Steinberg, Achensee, Nordtirol

Nördliche Kalkalpen

(Juli/August 2010)

 

Foto: Marie-Kristin Mandl/Franz Mandl. HDR Bildbearbeitung: Marie-Kristin Mandl, Juli 2010

 

Die Reste dieses Liniengefüges sind derzeit Thema von Diskussionen. Wir haben das Felsbild vor Ort aus verschiedenen Beleuchtungswinkeln fotografiert und zu einem HDR-Bild zusammengefügt, um ein möglichst objektives Bild zu erstellen. An dieser Stelle möchte ich mich bei den Österreichischen Bundesforsten für die Bereitstellung von Ressourcen bedanken.

Der Verwitterungsgrad von Teilen des Liniengefüges ist ähnlich wie jener der links daran anschließenden rätischen Inschrift, die vermutlich aus den ersten vorchristlichen Jahrhunderten stammen. Allerdings sind beinahe alle Linien bzw. Kerben in den letzten Jahren im Rahmen von  unsachgemäßen Dokumentations- bzw. Forschungsarbeiten mehrfach mit Bürsten und scharfen Gegenständen gereinigt worden und mehrfach mit Silikon und anderen Materialien abgezogen worden, was dem Original geschadet bzw. dieses zerstört hat. So wurde auch die so genannte "Reiter"-Darstellung in den letzten Jahrzehnten erheblich beeinträchtigt. Schon zuvor war für eine Initiale mit der Jahreszahl "1825" der Untergrund der weichen Verwitterungsrinde geglättet worden, wodurch der untere Teil des Liniengefüges weggeschabt wurde. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde eine Kerbe zwischen der "Reiter"-Darstellung und der Initiale eingeritzt. Für eine Interpretation als rätische "Reiter"-Darstellung könnte die vermutete Kopfpartie eines Pferdes mit Mähne sprechen. Der Strahlenkranz des Pferdekopfes, der die Mähne symbolisieren soll, reicht beinahe bis zu den Nüstern. Alle anderen Teile sind aber nur noch vage zu erkennen. Der Reiter wäre dieser Interpretation folgend lediglich mit seinem Körper dargestellt. Obwohl vom oberen Bereich der Verwitterungsrinde wenig abgerieben wurde, fehlt der Kopf. Eine Kopfpartie war demnach nie vorhanden oder kaum ausgeprägt. Anstatt eines Reiters wäre allerdings die Darstellung einer Last auf dem Rücken des "Pferdes" denkbar. 

Zusammenfassend scheitert aus meiner Sicht eine Deutung als "Reiter"-Darstellung, da wichtige Teile fehlen bzw. nicht erkennbar sind. Weder der Reiter noch das Pferd sind klar zu erkennen. Fehlende bzw. nicht erkennbare Teile der Darstellung eines Reiter auf einem Pferd sind die Beine des Reiters und des Pferdes, der Kopf  und die Arme des Reiters. Der "Kopf des Pferdes" mit seinem Strahlenkranz ist zu bogenförmig. Ich möchte folgend beispielhaft Anstöße zu anderen (gleichfalls spekulativen)  Interpretationsmöglichkeiten geben: Könnte der Bogen mit dem Strahlenkranz nicht auch ein Auge, ein Sexsymbol oder die Sonne symbolisieren? Zu diesen Symbolen gibt es mehrfach Parallelen in der nordalpinen Felsbildwelt.

Um der wissenschaftlichen Redlichkeit zu dienen, interpretiere ich diese Darstellung als die Reste eines zerstörten Liniengefüges. Alle anderen Konstruktionen sind in diesem Fall der Welt der Spekulationen zuzuordnen.

 

 

2)

Die "Hirschkuh" vom Schneidjoch

 

Foto: Marie-Kristin Mandl/Franz Mandl. HDR Bildbearbeitung: Marie-Kristin Mandl, Juli 2010

 

An die markanteste der rätischen Inschriften schließt eine etwa gleich stark verwitterte Tierdarstellung an, die an ein Reh oder eine Hirschkuh erinnert.  Eingebettet in eine Vielzahl von Kerbenresten, Grübchen und Schälchen ist diese Tierdarstellung relativ deutlich zu erkennen. In gekonnter Linienführung ist das Tier in den Fels graviert worden. Sie besticht durch Eleganz und ist zu den wenigen Kunstwerken der Felsbilder in den nördlichen Kalkalpen zu zählen. Der schlanke Körperbau mit den langen Läufen vermittelt Schnelligkeit und zugleich Ehrfurcht vor dem Tier. Die Felsbildwelt von Valcamonica (ANATI, Emmanuel: Valcamonica Rock Art. Vol. 13. Studi Camuni. Edizioni del Centro 1994) zeigt uns in dieser hohen künstlerischen Ausführung keine Vergleichsmöglichkeit. Dagegen finden wir aus der Zeit um Christi Geburt eine ähnliche künstlerische Fertigkeit in Bayern (MANDL, Franz: Dokumentation von Felsritzbildern in Bayern. In: Alpen, Archäologie, Felsbildforschung. Mitt. d. ANISA, 21 (2000) H. 1/2, S. 102 f.) 

Die rätische Inschrift und das Tier scheinen im Kontext zu stehen. Untermauert wird diese Annahme durch die Kerbenausführung und das annähernd gleiche Alter. Möglicherweise sind daher die Inschriften mit Jagdglück bzw. Jagdzauber in Zusammenhang zu bringen. Das Abri kann als idealer Jagdstand dienen. Freilich wäre es erstaunlich, dass Jäger der ersten vorchristlichen Jahrhunderte schreiben konnten. War die Jagd bereits in dieser frühen Zeit ein Privileg der Herrschaft, an der sich die schriftkundige Elite beteiligte? Möglicherweise sind, wie bereits mehrfach erläutert (SYDOW, Wilhelm: Die Halbhöhle mit "rätischen" Inschriften am Schneidjoch. In: Kult der Vorzeit in den Alpen. Teil 1. Bozen 202. S. 795 - 798), durchwandernde Gruppen zur Deckung des Nahrungsbedarfes auf Jagd gegangen und haben uns diese wichtigen Zeugnisse rätischer Volkskultur hinterlassen. Als Rückzugsgebiet für einen bedrängten Volksstamm scheint mir dieser Ort nicht geeignet zu sein. Als Beleg für einen längern Aufenthalt fehlen die Siedlungsspuren. Aber vielleicht gab es eine rätische oder rätoromanische Siedlung am Achensee, die noch auf ihre Entdeckung wartet. Letztere Variante scheint mir am wahrscheinlichsten zu sein. Leider wurde im 20. Jh. für die Initialen "I H" ein Teil unterhalb des Tieres abgeschabt, die den Gesamteindruck des Bildes erheblich stört. Dieser "I H" hat sich zum Leidwesen der Felsbildforschung mehrmals störend in die Felsbilder und Inschriften des Abris eingeritzt. 

 

2011 wird sich ein Forschungsbericht der ANISA der Felsbildforschung in den Nördlichen Kalkalpen widmen. Die Publikation wird voraussichtlich im Mai 2011 erscheinen.

 

 

Meinungen zu diesem Beitrag: anisa@anisa.at

 

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